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(1895 - 1976)

„Premysl Pitter, Wegbereiter der Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen aus dem Geist des Evangeliums“

Vortrag von

Edith Bergler

am 12.01.2010  18:00 Uhr

im Schloßturmsaal Bayreuth

                                                      

Inhaltsangabe:

Premysl Pitter, am 21. Juni 1895 in Prag geboren, Kriegsfreiwilliger während des Ersten Weltkriegs in der österreich-ungarischen Armee, überzeugter Pazifist seit seiner Erlebnisse an der Front, fand, angestoßen von Tolstoj, den Weg zum Evangelium und stellte sein Leben unter das Gebot der Liebe und Mitmenschlichkeit.

Nach Kriegsende 1918 begann er an der Evangelischen Hus-Fakultät in Prag Theologie zu studieren. Zwei Persönlichkeiten, die er in theologischen Schriften fand, beeinflußten sein weiteres Handeln:

Petr Chelcický, nach dessen Verständnis es nicht erlaubt war, die Lehre Christi mit dem Schwert durchzusetzen und Böses mit weiterem Bösem zu vergelten.

Jan Milíc, der die Lehre Jesu Christi mit der praktischen sozialen Tätigkeit verband, sich in Prag der Landstreicher, Huren und heimatlosen Kinder annahm und die Kommunität Milíc „Jerusalem“ gründete.

Nach dem Ende seines Studiums arbeitete Pitter in Prag in der Jugendfürsorge. Da er sich nie dem Diktat der political correctness unterwarf, engagierte er sich in der internationalen Bewegung der Friedensfreunde, wo er 1926 bei einer Konferenz in Oberammergau die Schweizer Lehrerin Olga Fierz kennenlernte, die bis an sein Lebensende seine engste Mitarbeiterin und Lebensbegleiterin war.

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Olga Fierz und P.Pitter im Park des Schlosses Kamnitz

Außerdem engagierte er sich in der internationalen Bewegung der Wehrdienstverweigerer, in der Liga gegen Antisemitismus sowie in der Tschechoslowakischen Liga für Menschenrechte, deren Gründer, Prof. Emanuel Rádl, die Prager Politik gegenüber den nationalen Minderheiten in der Tschechoslowakei als völlig verfehlt ansah. Pitter lehnte die tschechische These ab, die die Deutschen zu Eindringlingen und Kolonisten machte. Tschechen und Deutsche waren für ihn seit dem 9. Jahrhundert zwei naturgegebene Tatsachen in Böhmen und Mähren. 1933 eröffnet er in Prag Žižkov das Milíc-Haus, ein Tagesheim für Kinder aus der Arbeiterschicht, denen er und seine ehrenamtlichen Mitarbeiter eine außerschulische Erziehung vermittelten, die sich an christlichen Werten orientierte.  Der Anschluß des Sudetengebiets an das Reich 1938 schmerzte Pitter sehr. Er war davon überzeugt, daß diese Gebietsabtretung nicht erfolgt wäre, wenn die Regierung in Prag den Deutsch-Böhmen die Autonomie ihrer Heimat und die Gleichstellung der deutschen mit der tschechischen Sprache gewährt hätte.Im Protektorat, das 1939 nach einem Verstoß gegen das Abkommen von München eröffnet worden war, nahm er jüdische Kinder in seine Obhut, bevor sie in Konzentrationslager abtransportiert wurden.

 

Am 5. Mai 1945 begann in Prag der Nationalaufstand, der mit einem tagelang anhaltenden Quälen und Abschlachten der Deutschen in dieser Stadt einherging. Ab dem 8. Mai, der Kapitulation Deutschlands, waren in der Tschechoslowakei alle Deutschen rechtlos und vogelfrei. Man trieb sie brutalst über die Grenze oder in Internierungslager, die Konzentrationslager genannt wurden, zur Zwangsarbeit. Allein in Prag entstanden 25 dieser Lager, in denen Tausende zusammengetrieben wurden.

Ende Mai 1945 bekam Pitter von der Sozialen Gesundheitskommission beim Tschechoslowakischen Nationalrat die Vollmacht, elternlose jüdische Kinder aus Theresienstadt zu holen und in vier Schlössern unterzubringen. Auf diese Weise rettet er ungefähr 200 jüdische Kinder.

Ab Juli 1945 kontrollierte Pitter als Vorsitzender des Landesnationalausschusses in Prag auch die genannten 25 Lager, von denen das größte das Stadion Strahov war, das im heutigen Stadtbezirk Prag 6 liegt. Dort fand Pitter die schlimmsten Bedingungen.

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Kinder aus dem Internierungslagern mit P.Pitter und Zdenik Teichmann im Garten des Schlosses Lojowitz

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Strahov Stadion während einer Massenveranstaltung

Olga Fierz hielt dazu fest: „ Am schlimmsten war es im Sokol-Stadion auf dem Strahov, wo Tausende von Menschen auf dem kahlen Boden unter freiem Himmel und ohne Decken schlafen mußten. Schwerkranke und Kinder lagen in der glühenden Sonne in unsagbarem Schmutz voller Insekten. Nicht nur die Toiletten, auch die Wege zu ihnen waren von an Darmruhr Erkrankten verunreinigt. Sie konnten nicht weiterlaufen und blieben in ihrem Kot liegen. Ärztliche Versorgung oder Heilmittel gab es nicht.“ 

Das Elend der Kinder ließ Pitter handeln. Er brachte auch elternlose deutsche Kinder in den genannten Schlössern unter und prangerte in seinen Berichten die unmenschliche Behandlung in diesen Lagern an, den Hunger, die fehlende ärztliche Versorgung, die physischen Folterungen und Mehrfachvergewaltigungen, denen auch 12jährige Mädchen ausgesetzt waren.

Er wies immer wieder auf die diskriminierenden Maßnahmen hin, die die Regierung in Prag über die rechtlosen Deutschen verhängt hatte und die der nationalsozialistischen Judenpolitik bis hin zur persönlichen Kennzeichnung glichen und mit dieser gerechtfertigt wurden.

Im Oktober 1945 wurde er seiner Tätigkeit im Landesnationalauschuß enthoben. Von diesem Zeitpunkt an durfte er die Internierungslager für Deutsche nicht mehr betreten. Die Betreuung der in den Schlössern aufgenommenen Kinder fiel nicht in die Zuständigkeit des Landesnationalausschusses.

Im Januar 1946 verhandelte Pitter mit dem britischen Roten Kreuz wegen der Übernahme von 100.000 deutschen Kindern und Müttern aus den tschechoslowakischen Internierungslagern. Das wurde nicht bewilligt.

Beim Internationalen Roten Kreuz in Genf erreichte er aber, daß einige Transporte mit deutschen Kindern nach Bayern fuhren, wo sie vom Roten Kreuz übernommen wurden.

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Denkmal in Nürnberg- Langwasser

Bis Mai 1947 blieb ihm die Möglichkeit, die deutschen Kinder in den Schlössern zu betreuen. Dazu gehörte auch die systematische Suche nach den Eltern dieser Kinder. Ungefähr 600 deutsche Kinder verdanken Pitter ihr Leben.

Im Februar 1948 übernahmen die Kommunisten in der Tschecholowakei die Macht, nachdem sie aus der ersten freien Nachkriegswahl 1946 als stärkste Partei hervorgegangen waren.

Ab 1950 sollte Pitter im Milíc-Haus kommunistische Pionier-Gruppen ausbilden. Sämtliche religiösen Äußerungen waren ihm verboten. Olga Fierz durfte, nach einer Heimreise in die Schweiz, nicht mehr in die Tschechoslowakei einreisen.

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1951 flüchtete Pitter vor den Kommunisten nach Westdeutschland. Damit entzog er sich seiner bevorstehenden Verhaftung.

1952 übernahm er im Ausländerlager „Valka“ in Nürnberg-Langwasser, wo ungefähr 2.000 Tschechen untergekommen waren, den pastoralen Dienst.

Von hier aus knüpfte er Kontakte zur evang. Johannes-Mathesius-Gesellschaft und zur kath. Ackermanngemeinde, den christlichen Vereinigungen der vertriebenen Sudetendeutschen.

1959 nahm er am 1. Evangelischen Sudetendeutschen Kirchentag in Kassel teil und bekannte dort die tschechische Schuld.

1960 wurde das Lager „Valka“ aufgelöst.

1962 ging er mit Olga Fierz in die Schweiz. Dort gab er die Zeitschrift „Gespräche mit Autoren“ heraus.

Ab 1968 kümmerte er sich um Tschechen, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings emigriert waren.

1970 erschien die deutsche Übersetzung seiner beiden Bücher „Die geistige Revolution im Herzen Europas“ und „Unter dem Rad der Geschichte“.

Pitter starb am 15. Februar 1976 in Zürich, ausgezeichnet mit folgenden Ehrungen:

1966  Medaille und Auszeichnung mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“,  israelische Regierung

1973   Bundesverdienstkreuz   I. Klasse, Bundesrepublik Deutschland

1975   Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät, Universität Zürich

1976   Johannes-Mathesius-Medaille, Evangelische Sudetendeutsche

1991   Masaryk-Orden (postum), Prag 

Außer in Theologenkreisen wuchs in Tschechien das Interesse an Pitter erst in den letzten Jahren.

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1995    „Persönlichkeit von Weltformat“, Unesco, zu Pitters 100. Geburtstag

1997     Denkmal in Nürnberg-Langwasser vor der Kirche St. Ruppert mit der Inschrift:

„Premysl Pitter, Wegbereiter der Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen aus dem Geiste des Evangeliums“, Ackermanngemeinde

Pitters geistiger Nachlaß wurde 1990, nach dem Tod von Olga Fierz, nach Prag gebracht. Dort ist er im Pädagogischen Museum archiviert.

Edith Bergler

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Frau Bergler während ihres Vortrages