Nachrichten aus Creußen

14.04.2012 00:00

Sudetendeutsche bieten in Prag ihre Freundschaft an – Gespräche im Klima des Verständnisses

Von Elmar Schatz

Carmen weiß um das sudetendeutsche Leid nicht aus eigenem Erleben – sie stammt aus Honduras, aber ihre oberfränkische Schwiegermutter entstammt einer Vertriebenenfamilie und schildert immer wieder, wie das damals war, als sie weg mussten aus der Heimat. Carmen besucht Prag mit der Kreisgruppe Bayreuth der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Sie hilft einigen der betagten Menschen über die Treppenstufen der Prager Altstadt. Beeindruckend, was sich die Leute im Alter um die 80 zumuten, stets auf Trab gehalten von der Vorsitzenden der Kreisgruppe, Margaretha Michel aus Pegnitz, die ein straffes Drei-Tage-Programm organisiert hat.

Erste Station ist der Neue Jüdische Friedhof, auf dem auch Franz Kafka begraben liegt. Die etwa 20 Mitglieder zählende Gruppe erinnert an die jüdischen Opfer der Nazizeit; der katholische Diakon aus Bayreuth, Karl-Werner Goldhammer, spricht Gebete am Gedenkstein für jene, die kein Grab haben.

Am Tag darauf wird in der Klosterkirche von Brevnov aller Opfer gedacht. Margaretha Michel sagt: „Wir gedenken an diesem Ort in besonderer Weise der Opfer unserer beiden Völker – Tschechen und Deutsche –, die zwischen 1938 und 1947 Opfer von brutaler und sinnloser Gewalt wurden." Einbezogen werden alle Opfer unter den Tschechen während der Nazi-Herrschaft sowie im Stalinismus, die deutschen Opfer der Nazis, die deutschen Opfer der Vertreibung und jene Tschechen, die zwischen 1945 bis 1947 ebenfalls unter Rache und Vergeltung litten.

Zu den drei Millionen Sudetendeutschen heißt es im Gebet: „Wir denken an die Menschen, die ihr Hab und Gut und ihre geliebte Heimat verloren haben, und besonders an die, die sich aus Kummer darüber das Leben genommen haben, auf dem Transport zu Tode gekommen sind oder in der Fremde bald darauf gestorben sind."

Auf dieser Frühlingsreise werben die Sudetendeutschen für eine bessere Zukunft. Nicht verbittern wollen sie, sondern sich versöhnen mit den Menschen, die in ihrer alten Heimat leben. „Das Gedenken gehört zum Beginn einer Freundschaft", sagt Margaretha Michel.

Gleich am ersten Abend treffen die Vertriebenen im Haus der Minderheiten in Prag tschechische Studenten, die den Zeitzeugen aufmerksam zuhören. Anschließend sagen einige junge Teilnehmerinnen unserer Zeitung, wie sie die Begegnung empfunden haben (Wortlaut unten).

Nicht nur Deutsche, auch Russen, Roma, Polen, Ruthenen, Serben und Ukrainer begegnen sich im Prager Haus der Minderheiten. Die Kroaten sind Nummer zwölf. Und die Vietnamesen? „Gute Frage", erwidert das Präsidium des Hauses, „vielleicht eines Tages" werde auch diese Minderheit hier Mitglied sein. „Alles läuft problemlos", wird betont, „auch wenn die Griechen rauchen, obwohl es verboten ist."

Die oberfränkischen Zeitzeugen berichten. Und sie greifen weiter zurück als auf die Vertreibungszeit bis 1947. Tschechische Ingenieure hätten am Autobahnbau bei Bayreuth mitgewirkt. Tschechische Zwangsarbeiter seien hier in Rüstungsbetrieben beschäftigt gewesen, sagt Josi Dostal aus Creußen. Einige davon seien später von Heimatvertriebenen empfangen worden. Creußen pflegt seit langem eine enge deutsch-tschechische Freundschaft.

Glasmacher aus Gablonz siedelten sich nach dem Krieg im Fichtelgebirge an. Ein Mann erzählt, wie er damals auf dem Warmensteinacher Bahnhof stand, um das Gepäck zu bewachen, während sein Vater mit der Mutter vorausgegangen war, die bescheidene Unterkunft zu besichtigen, in der die Familie nun leben sollte. „Da kommt ein Bub um die Ecke, sieht mich – und haut mir rechts und links eine rein", sagt der alte Mann lächelnd. „Keiner wollte uns", sagt eine Frau. Doch einer der Sudetendeutschen hebt hervor: „Meine Generation hat von der Aufbauentwicklung enorm profitiert." Heute kann sich niemand mehr vorstellen, wie es war, als am Bayreuther Bahnhof rund 40 000 Sudetendeutsche eintrafen und untergebracht werden mussten. Eine tschechische Studentin fragt: „Haben Sie Schwierigkeiten mit der Sprache gehabt?" Margaretha Michel erzählt, als Kleinkind nur Tschechisch gesprochen und Deutsch erst im Westen gelernt zu haben. Ihre Familie wollte nicht, dass sich das Kind in der Zeit der Verfolgung verrät und brachte diesem nur Tschechisch bei. Eine Frau sagt, ihre Mutter habe wegen erlittener Grausamkeiten Tschechisch nie mehr hören können. In Prag wird an diesem Tag über die Traumata gesprochen – in einem Klima des Verständnisses, ohne Schärfe.