Von links: Peter Heidler Landesvorsitzender Seligergemeinde, Manfred Kees, SL Bayreuth, Claudia Dostler, stellv. Leiterin Stadtbibliothek, Georg Schatz, Referent, Ekkehard Hübschmann, Vorsitzender Der Geschichtswerkstatt Bayreuth

Vortrag: „Mein Weg zu        den Sudetendeutschen“   

am 22.11.2012

Zusammen mit der Geschichtswerkstatt Bayreuth und der Stadtbibliothek Bayreuth hatte die Sudetendeutsche Landsmannschaft Bayreuth zum Vortrag  „ Mein Weg zu den Sudetendeutschen“ mit Georg Schatz alias Pit Fiedler eingeladen. Eine Besonderheit, weil es erstmals gelungen war konstruktiv und vorbehaltslos die Geschichtswerkstatt Bayreuth und die Sudetendeutsche Landsmannschaft zu einem Dialog einzuladen. Der Andrang war groß und es mussten noch weitere Stühle herbeigeschafft werden.

Der Referent Georg Schatz führte durch die Irrungen und Wirrungen der deutsch-tschechischen Geschichte. Im Mittelpunkt standen dabei die sudetendeutschen Sozialdemokraten. Seit mehr als 20 Jahren setzt sich Schatz mit diesem Thema auseinander.
Am Anfang stand er den Sudetendeutschen ablehnend gegenüber. Dann folgten zögernde Annäherungen an einzelne Aspekte, um schließlich die ganze deutsch-sudetendeutsch-tschechische Geschichte ins Auge zu nehmen.

Die aufmerksamen Zuhörer

Georg Schatz referiert

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         

Schatz hatte keinen persönlichen Bezug zu den Sudetendeutschen, sein Blick war durch feste Vorurteile verstellt. Beim Besuch von Sudetendeutschen Tagen in Nürnberg sah er eine Gruppe „unverbesserlicher Menschen aus dem rechten Spektrum“, die sich einmal im Jahr beim Pfingsttreffen versammelten und die Zeit zurückdrehten. Das waren für ihn keine guten Voraussetzungen, um sie kennenlernen zu wollen. So jedenfalls die Auffassung von Georg Schatz.

Dieses Desinteresse an dem Thema Sudetendeutsche wurde zum ersten Mal 1993 im  Europäischen Comenium in Eger in Frage gestellt. Dr. Frank Boldt, der Gründer dieser Bildungseinrichtung, war aus Bremen nach Eger übergesiedelt und hatte als Historiker begonnen, das Geschichtsbild der Deutschen und das der Tschechen zu entschlacken. Boldts akribische  umfassenden Erforschung der sudetendeutschen und tschechischen Geschichte hat Schatz tief beeindruckt. Es hat einen Lernprozess ausgelöst, welcher bis heute noch nicht abgeschlossen ist.

Aber das war noch nicht alles. Bei derselben Veranstaltung lernte er auch Marie und Franz Lippert kennen die seit ihrer Jugend in Eger Sozialdemokraten waren. Lipperts haben vor allem 1938 gegen Henleins Sudetendeutsche Partei und für den Erhalt der Tschechoslowakei gekämpft und musste sich deshalb in Großbritannien in Sicherheit bringen. Schatz begann beide und weitere Zeitzeugen zu interviewen und ihre Erzählungen auf Band aufzuzeichnen.

Als weitere Bausteine auf seinem Weg erwähnte  Schatz die "Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" vom 21.01.1997, den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, die deutsch-tschechische Historikerkommission und das deutsch-tschechische Gesprächsforum. Über Peter Heidler, Jahrgang 1946 und Landesvorsitzender der Seligergemeinde aus Hof kam Schatz zur Gesinnungsgemeinschaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten, beschäftigte sich mit der „wilden Vertreibung“ und der sogenannten „geordneten Aussiedlung“ von mehr als drei Millionen Sudetendeutscher.

Schatz begriff, wie schwierig sich das Ankommen aller Flüchtlinge und Vertriebenen, nicht nur das der sozialdemokratischen, in Bayern gestaltete. Man war nicht willkommen.

Die Annäherung zwischen Tschechien und Deutschland ging unterdessen weiter. Am 1. Mai 2004 trat die Tschechische Republik der Europäischen Union bei. Fast 80 Prozent der Wähler hatten sich - im ersten Volksentscheid in der tschechischen Geschichte - dafür entschieden. Die Wahlbeteiligung lag über 55 Prozent.

Diese mehrere Länder umfassende Erweiterung Europas schuf die Voraussetzung dafür, viele Themen neu und anders betrachten zu können. Die alten Streitfragen zwischen Deutschland und Tschechien wie etwa die sogenannten Benes-Dekrete rückten in den Hintergrund der Diskussion. Eine neue Generation bemächtigte sich auf beiden Seiten der Grenze der gemeinsamen zeitgeschichtlichen Themen. Statt der Klärung von Schuldfragen steht jetzt eher die Erforschung der großelterlichen und elterlichen Lebenswelt beiderseits der Grenze im Mittelpunkt des Interesses.

Im Jahr 2006 feierte die "Seliger-Gemeinde Hof" ihr 50jähriges Bestehen. Nun war die Zeit reif für die Auswertung der Zeitzeugen Interviews und Schatz erstellte eine  Jubiläumsheft. Die Aufgabe war jedoch nicht zu bewältigen, wie sich schnell herausstellte. Jeder der Befragten hatte eine andere Geschichte.  

So enthielt das Jubiläumsheft der Hofer Seliger-Gemeinde am Ende nur einige exemplarische Lebensläufe und ein paar begleitende Texte und war trotzdem beim Publikum ein Erfolg. Die Broschüre erhielt den Titel "Verdrängt. Vergessen. Wiederentdeckt" und war gleichzeitig das Motto für Schatz weiteres Vorgehen.

2006 wandte sich Olga Sippl, die Grande Dame der Seliger-Gemeinde, mit dem Vorschlag an Schatz, eine Ausstellung über die Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten zu schaffen. Schatz stellte sich dieser Aufgabe und erarbeite federführend eine Ausstellung mit dem Titel "Die sudetendeutsche Sozialdemokraten - Von der DSAP zur Seliger-Gemeinde" mit einem Begleitbuch. Diese Ausstellung ist ein voller Erfolg und wurde bereits in zahlreichen Städten der Bundesrepublik und in der Tschechischen Republik gezeigt.

Exemplarisch erwähnte Schatz die Entwicklung der deutschen und der tschechischen Sozialdemokratischen Partei in den Jahren 1925, 1929 während der Weltwirtschaftskrise und 1937 mit Hinweisen auf Dr. Ludwig Czech, Wenzel Jaksch und Dr. Edvard Beneš und deren unterschiedlichen politischen Haltungen und Zielsetzungen.

Schatz erwähnte zum Abschluss seiner Ausführungen noch Projekte zur Aufarbeitung des Schicksals jener deutschen Bürger der ehemaligen Tschechoslowakei, die auch vom Tschechoslowakischen Staat verfolgt wurden und zu Schaden kamen. Die Ergebnisse sind ausschnittweise auf  der Internetseite des Instituts für Zeitgeschichte in Prag  zu begutachten. Darüber hinaus entstanden  Ausstellungen, Schulmaterial, Publikationen, Fernsehbeiträge, Filme u.v.m. Schließlich wurde in Aussig das Collegium Bohemicum gegründet mit dem Ziel, das tschechisch deutsche Zusammenleben wieder zu entdecken und aufzuarbeiten

Schatz wies auch darauf hin, dass die bisherigen Aufarbeitungsbemühungen nur halb oder unzureichend gelungen sind, weil die Erzählungen der Sudetendeutschen und deren Nachkommen, die "heim ins Reich" wollten - und dann vertrieben wurden noch fehlen. Dies sei auch heute noch ein Tabu-Thema.

Die leidvollen Geschichten der Vertriebenen sind bekannt und werden unterdessen auch zeitgeschichtlich gewürdigt. Als Beispiele nannte Schatz das Hofer Museum für Flüchtlinge und Vertriebene und die Pläne der Stiftung 'Flucht, Vertreibung, Versöhnung' in Berlin. Was aber fehlt, das sind die Erinnerungsberichte aus dem Zeitraum etwa 1935 bis 1945.

„Mein Wunsch wäre, dass diese Forschung ohne große Emotionalisierung in einem neuen Geist geschehen könnte“ schloss Schatz seine Ausführungen.

Dem Vortrag schloss sich eine sehr konstruktive Diskussion mit Faktenaustausch  und ohne große emotionale Auseinandersetzungen an. Deshalb konnte auch Dr. Hübschman von der Geschichtswerkstatt Bayreuth und Manfred Kees von der Sudetendeutschen Landsmannschaft feststellen: „Es lohnt sich sicher, diesen Prozess des Gedanken- und Faktenaustausches fortzusetzen“.

Zur Person:
Georg Schatz alias Pit Fiedler wurde 1951 in Nürnberg geboren und lebt seit 1986 in Selb. Er arbeitet als freier Journalist, Autor und Organisator europäischer, vor allem deutsch-tschechischer Projekte. Unter seiner Leitung entstand die deutsch-tschechische Ausstellung "Die sudetendeutschen Sozialdemokraten. Von der DSAP zur Seliger-Gemeinde". Diese Ausstellung hat die Sudetendeutsche Lands-mannschaft Bayreuth in der Zeit vom 2. bis 16. April 2011 erfolgreich gezeigt     

Manfred Kees

26.11.2012