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Inhaltsangabe:
Premysl Pitter, am 21. Juni 1895 in Prag
geboren, Kriegsfreiwilliger während des Ersten Weltkriegs in der österreich-ungarischen
Armee, überzeugter Pazifist seit seiner Erlebnisse an der Front, fand, angestoßen von
Tolstoj, den Weg zum Evangelium und stellte sein Leben unter das Gebot der Liebe und
Mitmenschlichkeit. Nach Kriegsende 1918
begann er an der Evangelischen Hus-Fakultät in Prag Theologie zu studieren. Zwei
Persönlichkeiten, die er in theologischen Schriften fand, beeinflußten sein weiteres
Handeln: Petr Chelcický, nach dessen
Verständnis es nicht erlaubt war, die Lehre Christi mit dem Schwert durchzusetzen und
Böses mit weiterem Bösem zu vergelten. Jan Milíc, der die Lehre Jesu
Christi mit der praktischen sozialen Tätigkeit verband, sich in Prag der Landstreicher,
Huren und heimatlosen Kinder annahm und die Kommunität Milíc Jerusalem
gründete. Nach dem Ende seines Studiums arbeitete Pitter in Prag in der Jugendfürsorge. Da er sich nie dem Diktat der political correctness unterwarf, engagierte er sich in der internationalen Bewegung der Friedensfreunde, wo er 1926 bei einer Konferenz in Oberammergau die Schweizer Lehrerin Olga Fierz kennenlernte, die bis an sein Lebensende seine engste Mitarbeiterin und Lebensbegleiterin war. |
Olga Fierz und P.Pitter im Park des Schlosses Kamnitz |
Außerdem
engagierte er sich in der internationalen Bewegung der Wehrdienstverweigerer, in der Liga
gegen Antisemitismus sowie in der Tschechoslowakischen Liga für |
Am 5. Mai 1945 begann in Prag der Nationalaufstand, der
mit einem tagelang anhaltenden Quälen und Abschlachten der Deutschen in dieser Stadt
einherging. Ab dem 8. Mai, der Kapitulation Deutschlands, waren in der Tschechoslowakei
alle Deutschen rechtlos und vogelfrei. Man trieb sie brutalst über die Grenze oder in
Internierungslager, die Konzentrationslager genannt wurden, zur Zwangsarbeit. Allein in
Prag entstanden 25 dieser Lager, in denen Tausende zusammengetrieben wurden. Ende Mai 1945 bekam Pitter von der
Sozialen Gesundheitskommission beim Tschechoslowakischen Nationalrat die Vollmacht,
elternlose jüdische Kinder aus Theresienstadt zu holen und in vier Schlössern
unterzubringen. Auf diese Weise rettet er ungefähr 200 jüdische Kinder. Ab Juli 1945 kontrollierte Pitter als Vorsitzender des Landesnationalausschusses in Prag auch die genannten 25 Lager, von denen das größte das Stadion Strahov war, das im heutigen Stadtbezirk Prag 6 liegt. Dort fand Pitter die schlimmsten Bedingungen. |
Kinder aus dem Internierungslagern mit P.Pitter und Zdenik Teichmann im Garten des Schlosses Lojowitz |
Strahov Stadion während einer Massenveranstaltung |
Olga Fierz hielt dazu fest: Am schlimmsten war es
im Sokol-Stadion auf dem Strahov, wo Tausende von Menschen auf dem kahlen Boden unter
freiem Himmel und ohne Decken schlafen mußten. Schwerkranke und Kinder lagen in der
glühenden Sonne in unsagbarem Schmutz voller Insekten. Nicht nur die Toiletten, auch die
Wege zu ihnen waren von an Darmruhr Erkrankten verunreinigt. Sie konnten nicht
weiterlaufen und blieben in ihrem Kot liegen. Ärztliche Versorgung oder Heilmittel gab es
nicht. |
Das Elend der Kinder ließ Pitter handeln. Er brachte auch elternlose deutsche Kinder in den genannten Schlössern unter und prangerte in seinen Berichten die unmenschliche Behandlung in diesen Lagern an, den Hunger, die fehlende ärztliche Versorgung, die physischen Folterungen und Mehrfachvergewaltigungen, denen auch 12jährige Mädchen ausgesetzt waren.
Er wies immer wieder auf die
diskriminierenden Maßnahmen hin, die die Regierung in Prag über die rechtlosen Deutschen
verhängt hatte und die der nationalsozialistischen Judenpolitik bis hin zur persönlichen
Kennzeichnung glichen und mit dieser gerechtfertigt wurden.
Im Oktober 1945 wurde er seiner Tätigkeit im
Landesnationalauschuß enthoben. Von diesem Zeitpunkt an durfte er die Internierungslager
für Deutsche nicht mehr betreten. Die Betreuung der in den Schlössern aufgenommenen
Kinder fiel nicht in die Zuständigkeit des Landesnationalausschusses. Im Januar 1946 verhandelte Pitter mit
dem britischen Roten Kreuz wegen der Übernahme von 100.000 deutschen Kindern und Müttern
aus den tschechoslowakischen Internierungslagern. Das wurde nicht bewilligt. Beim Internationalen Roten Kreuz in
Genf erreichte er aber, daß einige Transporte mit deutschen Kindern nach Bayern fuhren,
wo sie vom Roten Kreuz übernommen wurden. |
Denkmal in Nürnberg- Langwasser |
Bis Mai 1947 blieb ihm die
Möglichkeit, die deutschen Kinder in den Schlössern zu betreuen. Dazu gehörte auch die
systematische Suche nach den Eltern dieser Kinder. Ungefähr 600 deutsche Kinder verdanken
Pitter ihr Leben.
Im Februar 1948 übernahmen die
Kommunisten in der Tschecholowakei die Macht, nachdem sie aus der ersten freien
Nachkriegswahl 1946 als stärkste Partei hervorgegangen waren.
Ab 1950 sollte Pitter im Milíc-Haus kommunistische Pionier-Gruppen ausbilden. Sämtliche religiösen Äußerungen waren ihm verboten. Olga Fierz durfte, nach einer Heimreise in die Schweiz, nicht mehr in die Tschechoslowakei einreisen.
1951 flüchtete Pitter vor den Kommunisten nach Westdeutschland. Damit entzog er sich seiner bevorstehenden Verhaftung. 1952 übernahm er im Ausländerlager Valka in Nürnberg-Langwasser, wo ungefähr 2.000 Tschechen untergekommen waren, den pastoralen Dienst. Von hier aus knüpfte er Kontakte zur evang. Johannes-Mathesius-Gesellschaft und zur kath. Ackermanngemeinde, den christlichen Vereinigungen der vertriebenen Sudetendeutschen. 1959 nahm er am 1. Evangelischen Sudetendeutschen Kirchentag in Kassel teil und bekannte dort die tschechische Schuld. 1960 wurde das Lager
Valka aufgelöst. |
1962 ging er mit Olga Fierz in die
Schweiz. Dort gab er die Zeitschrift Gespräche mit Autoren heraus.
Ab 1968 kümmerte er sich um
Tschechen, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings emigriert waren.
1970 erschien die deutsche
Übersetzung seiner beiden Bücher Die geistige Revolution im Herzen Europas
und Unter dem Rad der Geschichte.
Pitter starb am 15. Februar 1976 in Zürich, ausgezeichnet
mit folgenden Ehrungen: 1966 Medaille und Auszeichnung mit dem Titel Gerechter unter den Völkern, israelische Regierung 1973 Bundesverdienstkreuz I. Klasse, Bundesrepublik Deutschland 1975 Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät, Universität Zürich 1976 Johannes-Mathesius-Medaille, Evangelische Sudetendeutsche 1991 Masaryk-Orden (postum), Prag Außer in Theologenkreisen wuchs in Tschechien das Interesse an Pitter erst in den letzten Jahren. |
1995 Persönlichkeit von Weltformat, Unesco, zu Pitters 100. Geburtstag
1997 Denkmal in Nürnberg-Langwasser vor der Kirche St. Ruppert mit der Inschrift:
Premysl Pitter, Wegbereiter der Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen aus dem Geiste des Evangeliums, Ackermanngemeinde
Pitters geistiger Nachlaß wurde 1990, nach dem Tod von Olga Fierz, nach Prag gebracht. Dort ist er im Pädagogischen Museum archiviert.
Edith Bergler
Frau Bergler während ihres Vortrages |