Von links: Peter Heidler Landesvorsitzender Seligergemeinde, Manfred Kees, SL Bayreuth, Claudia Dostler, stellv. Leiterin Stadtbibliothek, Georg Schatz, Referent, Ekkehard Hübschmann, Vorsitzender Der Geschichtswerkstatt Bayreuth |
Vortrag: „Mein Weg zu den Sudetendeutschen“ am
22.11.2012 |
Die aufmerksamen Zuhörer |
Georg Schatz referiert |
Schatz
hatte keinen persönlichen Bezug zu den Sudetendeutschen, sein Blick war durch
feste Vorurteile verstellt. Beim Besuch von Sudetendeutschen Tagen in Nürnberg
sah er eine Gruppe „unverbesserlicher Menschen aus dem rechten Spektrum“,
die sich einmal im Jahr beim Pfingsttreffen versammelten und die Zeit zurückdrehten.
Das waren für ihn keine guten Voraussetzungen, um sie kennenlernen zu wollen.
So jedenfalls die Auffassung von Georg Schatz.
Dieses
Desinteresse an dem Thema Sudetendeutsche wurde zum ersten Mal 1993 im
Europäischen Comenium in Eger in Frage gestellt. Dr. Frank Boldt, der Gründer
dieser Bildungseinrichtung, war aus Bremen nach Eger übergesiedelt und hatte
als Historiker begonnen, das Geschichtsbild der Deutschen und das der Tschechen
zu entschlacken. Boldts akribische umfassenden Erforschung der
sudetendeutschen und tschechischen Geschichte hat Schatz tief beeindruckt. Es
hat einen Lernprozess ausgelöst, welcher bis heute noch nicht abgeschlossen
ist.
Aber das
war noch nicht alles. Bei derselben Veranstaltung lernte er auch Marie und Franz
Lippert kennen die seit ihrer Jugend in Eger Sozialdemokraten waren. Lipperts
haben vor allem 1938 gegen Henleins Sudetendeutsche Partei und für den Erhalt
der Tschechoslowakei gekämpft und musste sich deshalb in Großbritannien in
Sicherheit bringen. Schatz begann beide und weitere Zeitzeugen zu interviewen
und ihre Erzählungen auf Band aufzuzeichnen.
Als
weitere Bausteine auf seinem Weg erwähnte Schatz die
"Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und
deren künftige Entwicklung" vom 21.01.1997, den Deutsch-Tschechischen
Zukunftsfonds, die deutsch-tschechische Historikerkommission und das
deutsch-tschechische Gesprächsforum. Über Peter Heidler, Jahrgang 1946 und
Landesvorsitzender der Seligergemeinde aus Hof kam Schatz zur
Gesinnungsgemeinschaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten, beschäftigte sich mit
der „wilden Vertreibung“ und der sogenannten „geordneten Aussiedlung“
von mehr als drei Millionen Sudetendeutscher.
Schatz begriff, wie
schwierig sich das Ankommen aller Flüchtlinge und Vertriebenen, nicht nur das
der sozialdemokratischen, in Bayern gestaltete. Man war nicht willkommen.
Die Annäherung zwischen
Tschechien und Deutschland ging unterdessen weiter. Am 1. Mai 2004 trat die
Tschechische Republik der Europäischen Union bei. Fast 80 Prozent der Wähler
hatten sich - im ersten Volksentscheid in der tschechischen Geschichte - dafür
entschieden. Die Wahlbeteiligung lag über 55 Prozent.
Diese mehrere Länder
umfassende Erweiterung Europas schuf die Voraussetzung dafür, viele Themen neu
und anders betrachten zu können. Die alten Streitfragen zwischen Deutschland
und Tschechien wie etwa die sogenannten Benes-Dekrete rückten in den
Hintergrund der Diskussion. Eine neue Generation bemächtigte sich auf beiden
Seiten der Grenze der gemeinsamen zeitgeschichtlichen Themen. Statt der Klärung
von Schuldfragen steht jetzt eher die Erforschung der großelterlichen und
elterlichen Lebenswelt beiderseits der Grenze im Mittelpunkt des Interesses.
Im Jahr 2006 feierte die
"Seliger-Gemeinde Hof" ihr 50jähriges Bestehen. Nun war die Zeit reif
für die Auswertung der Zeitzeugen Interviews und Schatz erstellte eine
Jubiläumsheft. Die Aufgabe war jedoch nicht zu bewältigen, wie sich schnell
herausstellte. Jeder der Befragten hatte eine andere Geschichte.
So enthielt das Jubiläumsheft
der Hofer Seliger-Gemeinde am Ende nur einige exemplarische Lebensläufe und ein
paar begleitende Texte und war trotzdem beim Publikum ein Erfolg. Die Broschüre
erhielt den Titel "Verdrängt. Vergessen. Wiederentdeckt" und war
gleichzeitig das Motto für Schatz weiteres Vorgehen.
2006 wandte sich Olga
Sippl, die Grande Dame der Seliger-Gemeinde, mit dem Vorschlag an Schatz, eine
Ausstellung über die Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten zu
schaffen. Schatz stellte sich dieser Aufgabe und erarbeite federführend eine
Ausstellung mit dem Titel "Die sudetendeutsche Sozialdemokraten - Von der
DSAP zur Seliger-Gemeinde" mit einem Begleitbuch. Diese Ausstellung ist ein
voller Erfolg und wurde bereits in zahlreichen Städten der Bundesrepublik und
in der Tschechischen Republik gezeigt.
Exemplarisch erwähnte
Schatz die Entwicklung der deutschen und der tschechischen Sozialdemokratischen
Partei in den Jahren 1925, 1929 während der Weltwirtschaftskrise und 1937 mit
Hinweisen auf Dr. Ludwig Czech, Wenzel Jaksch und Dr. Edvard Beneš und deren
unterschiedlichen politischen Haltungen und Zielsetzungen.
Schatz erwähnte zum
Abschluss seiner Ausführungen noch Projekte zur Aufarbeitung des Schicksals
jener deutschen Bürger der ehemaligen Tschechoslowakei, die auch vom
Tschechoslowakischen Staat verfolgt wurden und zu Schaden kamen. Die Ergebnisse
sind ausschnittweise auf der Internetseite des Instituts für
Zeitgeschichte in Prag zu begutachten. Darüber hinaus entstanden
Ausstellungen, Schulmaterial, Publikationen, Fernsehbeiträge, Filme u.v.m.
Schließlich wurde in Aussig das Collegium Bohemicum gegründet mit dem Ziel,
das tschechisch deutsche Zusammenleben wieder zu entdecken und aufzuarbeiten
Schatz wies auch darauf
hin, dass die bisherigen Aufarbeitungsbemühungen nur halb oder unzureichend
gelungen sind, weil die Erzählungen der Sudetendeutschen und deren Nachkommen,
die "heim ins Reich" wollten - und dann vertrieben wurden noch fehlen.
Dies sei auch heute noch ein Tabu-Thema.
Die leidvollen
Geschichten der Vertriebenen sind bekannt und werden unterdessen auch
zeitgeschichtlich gewürdigt. Als Beispiele nannte Schatz das Hofer Museum für
Flüchtlinge und Vertriebene und die Pläne der Stiftung 'Flucht, Vertreibung,
Versöhnung' in Berlin. Was aber fehlt, das sind die Erinnerungsberichte aus dem
Zeitraum etwa 1935 bis 1945.
„Mein Wunsch wäre,
dass diese Forschung ohne große Emotionalisierung in einem neuen Geist
geschehen könnte“ schloss Schatz seine Ausführungen.
Dem Vortrag schloss sich
eine sehr konstruktive Diskussion mit Faktenaustausch und ohne große
emotionale Auseinandersetzungen an. Deshalb konnte auch Dr. Hübschman von der
Geschichtswerkstatt Bayreuth und Manfred Kees von der Sudetendeutschen
Landsmannschaft feststellen: „Es lohnt sich sicher, diesen Prozess des
Gedanken- und Faktenaustausches fortzusetzen“.
Zur Person:
Georg Schatz alias Pit Fiedler wurde 1951 in Nürnberg geboren und lebt seit
1986 in Selb. Er arbeitet als freier Journalist, Autor und Organisator europäischer,
vor allem deutsch-tschechischer Projekte. Unter seiner Leitung entstand die
deutsch-tschechische Ausstellung "Die sudetendeutschen Sozialdemokraten.
Von der DSAP zur Seliger-Gemeinde". Diese Ausstellung hat die
Sudetendeutsche Lands-mannschaft Bayreuth in der Zeit vom 2. bis 16. April 2011
erfolgreich gezeigt
Manfred Kees
26.11.2012